Yvonne Goulbier, Jwala Gamper - In der Stille immer lauter werden - 01.12.07 bis 31.01.08

Yvonne Goulbier, Jwala Gamper - In der Stille immer lauter werden - 01.12.07 bis 31.01.08

Stille - in der Reizflut unserer Zeit hat sie Seltenheitswert. Gleichzeitig scheint sie eine Sehnsucht zu beschreiben. Antwort und Lösung? - Räume der Stille schießen seit einigen Jahren in Deutschlands Großstädten wie Pilze aus dem Boden - mit religiösem Hintergrund oder als Teil von Wellnessoasen. Doch: Kann so etwas Sinnenfreies wie die Erfahrung von Stille die Inhaltsleere im Sein stillen?

 

Die in Kramsach/ Österreich lebende Schriftkünstlerin Jwala Gamper formt in ihren Signs einzelne Worte und kurze Gedanken zu unverwechselbaren Kalligraphien. Es sind Zeichen aus der Stille in Tusche gebannt, mit denen Jwala Gamper den Geist des Betrachters auf die - manchmal widersprüchlich erscheinende - Reise freudigen Selbstgewahrseins schickt. Ihre Papierarbeiten treffen in der Ausstellung auf Plastiken, Licht- und Bildwerke der international arbeitenden Hannoveraner Künstlerin Yvonne Goulbier. Sie spielt in ihren Arbeiten mit der Leichtigkeit subtiler Brechungen unserer gewohnten Erfahrung und öffnet so StilleWelten jenseits des Verstandes.

Die Arbeiten der Künstlerinnen berühren im Nicht Sichtbaren. Sie sind Angebote für die Erfahrung des Raumes zwischen den Gedanken - für eine Stille, die immer lauter wird.


 

"In der Stille immer lauter werden"

Vortrag anlässlich der Vernissage der Ausstellung "In der Stille immer lauter werden" der Künstlerinnen Jwala Gamper und Yvonne Goulbier, Galerie Holbein4 von Dr. Annette Roggatz. Hannover, 30. November 2007


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

"In der Stille immer lauter werden" - "Na klar, das kenn ich gut!", hat mir eine Lehrerin geantwortet, und auch ein Tontechniker.

Lärm, ein Laut - in der Stille? Wohl eher ein Laut in die Stille hinein bzw. aus der Stille heraus. Aber gemeinsam? Still und laut - unsere Ohren wollen uns täglich belehren, dass sich beides gegenseitig ausschließt.

Stille - in der Reizflut unserer Zeit hat sie Seltenheitswert. Gleichzeitig scheint sie eine Sehnsucht zu beschreiben. Räume der Stille schießen seit einigen Jahren in Deutschlands Großstädten wie Pilze aus dem Boden - mit religiösem Hintergrund oder als Teil von Wellnessoasen.

 

Die Künstlerinnen - Jwala Gamper, Yvonne Goulbier

Die Arbeiten der beiden Künstlerinnen, die wir Ihnen heute hier vorstellen, eint ihr Bezug zur Stille

Zunächst zur Kalligraphie von Jwala Gamper:

Sie kennen sicherlich folgende Szene aus in Japan oder China spielenden Filmen:

Ein kleines Tischchen. Darauf Papier, Pinsel und ein Gefäß mit Tusche. Davor: der Meister - bewegungslos. Plötzlich löst er sich aus seiner Versenkung, ergreift den Pinsel, tunkt ihn in das Tuschegefäß und schreibt - in einem Schwung - eine Folge von Zeichen auf das Papier.

Das ist Kalligraphie im Sinne des Zen-Buddhismus:

Anders als bei den Kalligraphien westlicher Prägung - bekannt vor allem aus den mittelalterlichen Klöstern, bei denen die Weitergabe und prächtige Ausgestaltung des Textes im Vordergrund steht - anders also als bei dieser westlichen Tradition und anders auch als bei islamischer Kalligraphie, geht es bei der fernöstlichen Kalligraphie um ein inneres Eins-Werden jenseits ornamentaler Überhöhungen.

Solche ostasiatischen Kalligraphien wollen das Wesen, die Essenz des Geschriebenen sichtbar und erlebbar machen. Dabei tritt manchmal sogar die Lesbarkeit zugungsten der Ausdrucksstärke zurück - eine Tatsache, die uns bei der Rezeption asiatischer Kalligraphien nicht erreicht, die aber bei muttersprachlicher Kalligraphie eine wichtige Bedeutung hat: Kalligraphien gelten in erster Linie als Bild, erst dann als Text.

Vor dieser Tradition begreift die in Kramsach / Österreich lebende Schriftkünstlerin Jwala Gamper ihre Signs, mit denen sie seit 2004 an die Öffentlichkeit tritt - über ihre Sketch-Books auch weltweit. Ihr Weg dorthin führte notwendigerweise nicht durch die Kunsthochschulen. Ihre Befähigung erlangte sie durch etwas, dass ich als angewandtes Studium der Philosophie zusammenfassen möchte, in dem sie durch zahlreiche Ausbildungen und Lebensformen ging. Ein notwendiger Weg. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit philosophischen Systemen, gelehrt an den Universitäten, ist vor allem ein Spiel der Logik, und damit distanziert. Das Hindurchgehen beinhaltet ein Einlassen, ein Fühlen - eine notwendige Vorraussetzung, um in die Stille begriffloser Essenz des zu schreibenden einzutauchen, die Jwala Gamper dann durch die Kalligraphie in den Ausdruck bringt.

Es sind Zeichen aus der Stille in Tusche gebannt, mit denen Jwala Gamper den Geist des Betrachters auf die - manchmal widersprüchlich erscheinende - Reise freudigen Selbstgewahrseins schickt.

"Stille" ist das Sign, mit dem sie 2004 erstmals an eine weitere Öffentlichkeit getreten ist.

Und Stille atmen auch die Arbeiten der Hannoveraner Künstlerin Yvonne Goulbier. Ihr Medium ist das Licht, ein Licht, dass ebenso dimensionslos ist, wie die Stille:

Das Licht begegnet uns im Oeuvre Yvonne Goulbiers in dreierlei Form:

- als Projektion im Außenraum (Poesia, Hannover Anzeiger Hochhaus, 2000; Rosenthalbrücke, Lichtparcours Braunschweig 2000)

- als Schwarzlicht, mit dem sie Räume in ein dimensionsfernes Dunkel taucht, um den Raum dann durch ihre aus sich heraus leuchtenden Installationen zu transformieren. Es sind kraftvolle Räume häufig Sakralräume. Die Wirkung auf den Betrachter zwischen die Dimensionen einzutauchen, strahlen auch die ausgestellten Pigmentdrucke und Cibachrome aus (Silentium, Oerlinghausen, Cibachrome 1/5 2001; Wie Wirklich ist die Wirklichkeit, Neustädter Kirche, Pigmentdruck Mischtechnik 1/7 2005; The Game, ehem. Dominikanerkirche Osnabrück, Pigmentdruck 1/7 2007, u.a.)

- durch die Leuchtkraft der verwendeten Farbe, wie in den Bildwerken Roma und After the Rain (jeweils Acryl und Aluminium auf Leinwand, 2000) und dem Objekt Evokation in Rot (Acryl und Aluminium auf Blattgold auf Pappmachée, 1988/2006). Das Eintauchen zwischen die Dimensionen der Lichträume findet sich auch in den Plastiken "Stille in Rot": Die Bronzen, patiniert und pulverbeschichtet, sind jeweils Unikate. Die irdene Schwere des türkis patinierten Sockels wird in die Höhe gehoben durch die Leichtigkeit eines strahlend rotpink aufstrebenden, zarten Astgeflechts - ein Zauber, der daran erinnert, dass all die Knospen unserer Stille nur darauf warten, im Licht der Wirklichkeit strahlend auszuschlagen.

In all diesen Lichtwerken arbeitet Yvonne Goulbier mit der Leichtigkeit subtiler Brechungen unserer gewohnten Erfahrung und öffnet dem Betrachter so StilleWelten jenseits des Verstandes, die frei sind von jeder vorgegebenen Interpretation.

Beide Künstlerinnen greifen in ihrem Schaffensprozess auf die Stille zurück. Sie nähern sich ihren Bild- und Lichtwerken aus einer inneren Stille heraus. Folgerichtig also, dass sie beschlossen, zukünftig verstärkt zusammen zu arbeiten. "In der Stille immer lauter werden" ist ihr erstes gemeinsames Ausstellungsprojekt. Ein gemeinsames Filmprojekt "Wolle was komme" mit Karl Gamper und Klaus Goulbier haben sie in diesem Jahr abgeschlossen. Anfragen aus Osnabrück und Frankfurt liegen ihnen vor.

 

Stille - was bedeutet sie für uns?

Was hat dieser Entstehungsprozess aus der Stille im Werk von Yvonne Goulbier und Jwala Gamper mit uns als den Betrachtern zu tun?

Ist dieser Wunsch nach Stille, belegt in der bereits erwähnten zunehmenden Zahl von Räumen der Stille, einfach nur eine Sehnsucht von uns, dem Betrachter, nach einem Ausbruch aus der Reizflut? - Oder ist sie mehr? Kann so etwas Sinnenfreies wie die Erfahrung von Stille eine Inhaltsleere im Sein stillen? Was ist das Wesen von Stille?

Die Sinne des Menschen sind vor allem auf Außenwahrnehmung ausgerichtet. Und so ist das Außen der "Ort" an den wir unsere Selbstgewissheit, unsere Identität in der Regel anknüpfen. Dieses Außen unterliegt heute einer extremen Beschleunigung - erzeugt von umwälzendem technischem und sozialem Wandel. Die Suche nach Verankerung im Außen trifft auf eine von Wirtschaftlichkeit getragene Welt, die größtmögliche Aufmerksamkeit erreichen möchte durch immer spektakulärere Aktionen - Aktionen, deren Wert sich über Aktion bestimmt, auch unabhängig von ihrem Inhalt.

Unsere Außenwelt ist also überbordende Fülle - eine Welt, die das genaue Gegenstück zu Stille lebt? Ist Stille dann Mangel? - zugegeben: eine Suggestivfrage. Stille zeichnet sich natürlich aus durch ein Fehlen von äußeren Sinneseindrücken. Doch was ist Mangel, was Fülle? Für die Beantwortung möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Art unserer Sinneswahrnehmung lenken: Jeder Sinneseindruck ist endlich. Zum einen, weil die Impulse an die Zeit gebunden sind, zum anderen - und das ist für unsere Welterfahrung noch wichtiger: alle Sinne zeigen Gewöhnung bei gleichbleibendem Impuls. Darin liegt für uns die einzige Möglichkeit in der zunehmenden Reizflut zu leben.

Sinneseindrücke sind demnach endliche Impulse eingefügt in die unendliche Stille. Stille ist das was übrig bleibt, wenn wir die Sinneseindrücke ausschließen -  damit ist Stille  der Grundstoff unseres Seins. In ihrer Unendlichkeit und Dimensionslosigkeit ist Stille Fülle. Es ist eine ungerichtete Fülle aller Möglichkeiten, in die es sich lohnt einzutauchen.

 

"In der Stille immer lauter werden"

Die Arbeiten der Künstlerinnen Yvonne Goulbier und Jwala Gamper berühren im Nicht Sichtbaren.

Die poesievolle Brechung unserer gewohnten Wahrnehmungen in den Lichträumen Yvonne Goulbiers und die Reduktion auf die Essenz der Begriffe in den Kalligraphien Jwala Gampers wirken in der greifbar gemachten Fülle der Stille. Sie sind Angebote für die Erfahrung des Raumes zwischen den Gedanken - für eine Stille, die immer lauter wird.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Entdeckungsreise.