Der Großwalzer - Wolfgang Tiemann in der Galerie Holbein4

(aus: Hannoversche Allgemeine Zeitung von Johanna di Blasi, 22.09.2007)

 
"Einzigartig" und "außergewöhnlich" sind von der Werbesprache gründlich abgenudelte Worte, die in einer Kunstkritik nur selten etwas verloren haben. Bei Wolfgang Tiemanns Auftritt in der seit einem Jahr bestehenden Galerie Holbein4 aber könnten sie angebracht sein. Denn wann hat man das schon: Ein hiesiger Künstler stellt in angesehenen Museen in märchenhaften Städten wie Samarkand, Damaskus, Schanghai und Aleppo aus, bevor ein kleiner Teil seiner Werke endlich bei uns ankommt.
Freunde des Künstlers und auch die beiden Junggaleristinnen Bettina Engelke und Annette Roggatz holen ganz weit aus, um schließlich bei den zum Teil riesigen Aquatintaradierungen Tiemanns anzukommen. Von der alten Seidenstraße ist die Rede und dem Wunder der Papierherstellung. Es wurde als Geheimnis gehütet, dann aber von den Chinesen doch ausgeplaudert. "Was wäre unsere Kultur ohne Papier?", fragen die Galeristinnen. Auch der ehemalige niedersächsische Landtagspräsident Rolf Wernstedt ist ein begeisterter Tiemann-Fan - und war sogar in Aleppo dabei.
Papier ist geduldig. Mit einer Riesenwalze aus Metall hat Tiemann die Grafiken mit legeren formalen und motivischen Anklängen an die klassische Moderne gewalzt: Stiere sind zu sehen, archaische Krieger und immer wieder Frauenakte. In ihrer Flüchtigkeit, Hast und mangelnden Erdung sind die Bilder als unsere Zeitgenossen erkenntlich. Die Metallwalze wurde Tiemann gestohlen. Wahrscheinlich wurde das Metall in einer Gießerei eingeschmolzen. So verbindet sich mit Tiemanns "Paper Roads", so nennt er seine weit gereiste Grafikserie, sogar ein kleiner Kunstkrimi.
Der Künstler verzichtet auf Nachforschungen. Er hat schon wieder andere Herkulesaufgaben vor sich. Vom 26. Oktober bis 31. Januar werden seine "Paper Roads" in acht Sälen des Berliner Pergamon Museums ausgestellt sein. Auch die 34 in Hannover gezeigten Werke. Wer sie hier noch sehen möchte, muss sich also beeilen.

Galerie Holbein4, bis 7. Oktober, Holbeinstraße 4, dienstags, donnerstags und freitags 16 bis 18.30 Uhr.